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Tausend Jahre hat es in diesem Jahr auf dem Buckel, das ehrwürdige Straßburger Münster, ein Alter, das wahrlich Würdigung verdient. Das hat sich auch die Veranstalterin der 6. Internationalen Glasbiennale, die European Studio Glass Art Association (ESGAA) gedacht und das große Kunstereignis unter das Motto Lux AeternaEwiges Licht gestellt. Damit schlägt die diesjährige Glasbiennale einen leuchtenden Bogen von der Tradition zur Moderne, von den Buntglasfenstern des Münsters zu den über sechzig Künstlern und Künstlerinnen unserer Zeit, die es in zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen neu oder wieder zu entdecken gilt.

Straßburgs Glasszene verdankt ihre Lebendigkeit nicht zuletzt Pasquine de Gignioux, einer passionieren Kunstliebhaberin und Galeristin. Schon in den 1980ern hatte sie begonnen, Glaskünstler zu fördern. Auch trug sie entscheidend mit dazu bei, dass an der Kunst- und Musikhochschule des Elsass (HEAR) ein Fachbereich Glas, die ESAD (École supérieure des arts décoratifs), eingerichtet wurde. Als sie 2003 erkrankte, setzten zwei ihrer Galeriekunden, die Sammler Laurent Schmoll und Marcel Burg, ihre Arbeit fort und gründeten die ESGAA, um angesichts der noch immer in Frankreich vorhandenen Vorbehalte Glas der Öffentlichkeit als ein Medium der Kunst nahezubringen. Ganz im Sinne von Pasquine de Gignioux geht es den Organisatoren außerdem gezielt um den Austausch zwischen Nachwuchskünstlern und erfahrenen Kollegen. Für diesen Bereich konnten sie auch die renommierte Glaskünstlerin und frühere Leiterin der ESAD, Michèle Perozeni gewinnen, die selbst Keramik und Glas an der HEAR studiert hatte. Ihre Nachfolgerin im Amt ist seit 2009 Yeun-Kyung Kim, auch sie eine Absolventin der ESAD. Anlässlich der Biennale fragte Uta M. Klotz die beiden Künstlerinnen, welche Entwicklung die Ausbildung in Glas an der Straßburger Hochschule in den letzten Jahren genommen hat und wo die Schwerpunkte liegen.

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Philippa Beveridge: The Custodian of Memory, breastplate, float glass, cold-worked and silvered, leather, 65 x 35 x 25 cm

Michèle Perozeni: Als das Fach Glas 1985 als letztes der verschiedenen Kunststudiengänge der ESAD gegründet wurde, war das ein historischer Durchbruch. Es gab bis dahin in ganz Frankreich keine andere Kunsthochschule, die ein Glasstudium anbot. Wir machten uns voller Enthusiasmus an die Arbeit, der damalige Direktor und der Lehrkörper, und auch die Studierenden waren hochmotiviert. Ihre Zahl stieg ständig. Als Dozentin versuchte ich, ihnen beizubringen, dass es nicht allein um Glas um seiner selbst willen ging. Sie sollten vielmehr lernen, sich zwischen zwei gleichgewichtigen Polen zu bewegen: zwischen ihrer persönlichen künstlerischen Entwicklung innerhalb der zeitgenössischen Kunst einerseits und der Beherrschung der notwendigen technischen Fertigkeiten andererseits, um am Ende ihren eigenen Weg zu gehen. Wichtig war die richtige Balance zwischen Kreativität und Technik, pädagogischer Begleitung und Selbstständigkeit.

Natürlich kam es im Laufe der Zeit zu personellen und strukturellen Veränderungen an der Hochschule. Auch bestand die Gefahr, dass die Kunststudiengänge ihre Autonomie verlieren und reine Dienstleister werden könnten. Daraufhin stellten sich die Fächer neu auf, es entstand der Bereich Option Objet – Kunst-Objekt mit sieben Werkstätten (Glas, Schmuck, Ton/Erde, Holz, Metall usw.), aber mit einem gemeinsamen, übergreifenden Unterrichtskonzept.

UK: Wie ging es weiter, als Ihre frühere Studentin Yeun-Kyung Kim 2009 Ihre Stelle antrat?

MP: Auch ein Generationenwechsel bringt Veränderungen mit sich, ebenso die Tatsache, dass Yeun-Kyung Kim aus einem anderen Kulturkreis kommt. Überdies hat jeder Künstler, der unterrichtet, seine eigene Geschichte, seine persönlichen Stärken und Schwächen. Unsere pädagogischen Vorstellungen sind verschieden. Meine Herangehensweise an Glas hängt eng zusammen mit der besonderen Eigenschaft des Materials, sowohl flüssig als auch fest zu sein, und seinen vielen mal poetischen, mal philosophischen Facetten. Yeun-Kyung Kim geht pragmatischer, bedingungsloser vor. Sie verfügt über eine reiche künstlerische Sprache und geht souverän mit unterschiedlichen Materialien wie Glas, Metall, Textil oder Gips um.

Hélène Launois: Méduse, 2013 lumières, verre, métal, objets aquatiques et Plexiglas, 180 x 140 x 35 cm, exposée à la galerie Frédéric Moisan, Paris, 2013

Hélène Launois: Méduse, 2013, lumières, verre, métal, objets aquatiques et plexiglas, 180 x 140 x 35 cm, exposée à la galerie Frédéric Moisan, Paris, 2013

Yeun-Kyung Kim: Als Michèle Perozeni unterrichtete, gab es noch so gut wie keine Durchlässigkeit oder Überschneidungen zwischen den Studiengängen. Man hatte sich für ein bestimmtes Ausbildungsfach zu entscheiden. Aber seit 2009 sind die Werkstätten offen, man konzentriert sich nicht mehr auf ein einziges Fach. Das war eine Entwicklung, die von den Studierenden selbst kam, weil sie den Umgang mit verschiedenen Materialien kennenlernen wollten. Es hängt aber auch mit den Veränderungen in der Gesellschaft zusammen. Die Kunsthochschulen stehen ja nicht außerhalb, sie sind Teil der sozialen und kulturellen Wirklichkeit. Nicht alle Absolventen werden Künstler, der Unterricht muss also offen sein. Flexibilität ist wichtig, um auch in kunstverwandten Branchen arbeiten zu können. Mit dem übergreifenden Unterrichtskonzept für die einzelnen Kunst-Objekt-Bereiche ist das möglich. Sicher unterrichte ich anders als Michèle Perozeni, sie hat eine ganz andere Persönlichkeit. Ich versuche aber, einzelne Aspekte Ihrer Unterrichtsweise zu übernehmen. Ich habe während meines Studiums von ihrer Professionalität und ihrem Enthusiasmus profitiert und möchte davon etwas meinen Studenten und Studentinnen weitergeben.

MP: Bei allen Unterschieden: wichtig ist, dass wir jeden Studierenden mit Achtung auf seinem Weg begleiten, dass wir zuhören und den Stoff auf eine Weise vermitteln, dass die Lernenden zu größtmöglicher Selbstständigkeit gelangen.

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Isabelle Böhm: Crown, 2014, glass, free formed, mixed media, 60 x 200 x 250 cm

UK: Viele Studierende an der ESAD kommen aus Südkorea. Was unterscheidet die Ausbildung dort von der in Frankreich?

MP: In Südkorea sind die Kunsthochschulen Privatinstitute. Die Studenten müssen für alles, inklusive der Materialien selbst aufkommen. Die Fächer sind Pflichtfächer und hauptsächlich technisch in Richtung Kunsthandwerk ausgerichtet. Das Ergebnis sind ausgezeichnete technische Fertigkeiten, aber kaum persönliche Entfaltung. ESAD in Straßburg ist staatlich, die Materialien sind kostenlos, die Kurse frei belegbar, der technische Unterricht fakultativ. Ziel ist die Förderung der Kreativität des Individuums. Das Ergebnis ist die Bildung des eigenen künstlerischen Ausdrucks innerhalb der zeitgenössischen Kunst, weniger schulischer Unterricht und das technisches Knowhow entsprechend den Bedürfnissen der Studierenden. Für die Koreaner, die wenig über sich selbst sprechen, braucht es Zeit, bis sie ihren Weg in unserer Kultur machen. Doch sie sind aufgeschlossen und geben ihr technisches Wissen weiter. Sie sind für alle eine Bereicherung.

YKK: HEAR bildet keine Glashandwerker aus, es geht vielmehr um Glas als Medium und die Fähigkeit eines Einzelnen, sich darauf einzulassen. Wer will, kann später noch immer eine technische Fachschule besuchen. Die erste Glasfachhochschule in Südkorea wurde 1997 in Cheonan von einem Absolventen der HEAR gegründet. Sie verfügt über große Mittel und konzentriert sich auf die Vermittlung von Technik. Seit 2002 gibt es den Studierendenaustausch zwischen der Namseoul Universität und HEAR.

UK: Braucht die heutige Gesellschaft überhaupt noch so etwas wie Kunst?

YKK: Künstler sind Einzelgänger, aber sie versetzen andere in die Lage, Grenzen zu überschreiten, zeigen Dinge jenseits von Regeln und Normen. Selbst unter schlimmsten Bedingungen finden Menschen Mittel und Wege, zu singen, tanzen, malen, schreiben: zu sein. Essen oder schlafen ist normal, Kunst zeigt das Wesentliche. Man kann auf Kunst ebenso wenig verzichten wie auf Freiheit.

 

Das Gespräch führte Uta M. Klotz, aus dem Französischen übertragen von Petra Reategui


Verena Schatz (Austria): A Part of You, 2012, glass, stainless steel, flat Screen, camera, 60 x 200 x 8 cm